Vorwort
Ein Fahrscheinfreier Nahverkehr würde den Umgang mit dem bisherigen, gewohnten, uns vertrauten Nahverkehrssystem revolutionieren. Im Hintergrund würde sich natürlich auch Vieles an der Finanzierungssystematik ändern.
Schon heute zahlen alle mit ihren Steuern den ÖPNV mit, dürfen ihn aber erst nutzen, wenn sie sich mit komplizierten Fahrscheinautomaten auseinandergesetzt haben.
Die Piratenfraktion NRW befürwortet daher eine solidarische Umlagefinanzierung, bei der alle Bürgerinnen und Bürger einen monatlichen Beitrag leisten müssen, im Gegenzug aber eine Freifahrberechtigung erhalten. Gemeinsam sind wir stark: Wenn jeder einen kleinen Beitrag zur Finanzierung des ÖPNV leistet, dann wird dieser auch deutlich besser! Eine solidarische Umlagefinanzierung ist daher nur fair!
Wir möchten an dieser Stelle Antworten auf die meistgestellten Fragen geben. Wenn ihr weitere Fragen haben, zögert nicht, uns diese mitzuteilen! Wir beantworten sie gerne!
Welche Kosten würden bei einem fahrscheinfreien ÖPNV entfallen?
Sofern man den fahrscheinfreien Nahverkehr über Erschließungsbeiträge finanziert, wären Fahrscheine bzw. andersartige Identifikationsnachweise verzichtbar (vgl. http://studie.fahrscheinlos.berlin; S. 76 ff.). Demzufolge wären Herstellung, Vertrieb und Kontrollen von Fahrscheinen nicht mehr notwendig. Laut Angaben des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV-Mitteilung 9713) machen die Vertriebskosten zwischen 8 % und 15 % der Netto-Fahrgeldeinnahmen aus.
Anlehnend an eine Schriftliche Anfrage im Abgeordnetenhaus Berlin würden die Berliner Verkehrsunternehmen jedes Jahr mehr als 50 Millionen Euro sparen. Das entspricht in etwa der Summe, die der Senat im Jahr 2015 für die Anschaffung von elf neuen U-Bahn-Zügen bereitgestellt hat.
Dazu kommen schwer zu beziffernde Kosten für tausende Gerichtsverfahren und für die Inhaftierung von „Schwarzfahrerinnen und Schwarzfahrern“. Allein im Gefängnis Plötzensee sitzt ein Drittel der Gefangenen, ca. 130 Personen, Ersatzfreiheitsstrafen fürs „Schwarzfahren“ ab, bis zu 150 Tage bei täglichen Haftkosten von 135 Euro pro Gefangenen.
Wir wollen, dass der ÖPNV servicefreundlicher wird, als dies heute der Fall ist. Einen Teil der so „entfallenen“ Kosten wollen wir für mehr Fahrgastservice in Bussen und Bahnen sowie Bahnsteigen, Busbahnhöfen und Servicestationen – für mehr Servicepersonal und bedienerfreundliche Informationssysteme – einsetzen.
(Mehr zu den Grundlagen der ÖPNV-Finanzierung unter http://studie.fahrscheinlos.berlin; S. 16 – 21)
Dieser Text wurde mit freundlicher Genehmigung von der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus Berlin übernommen: http://fahrscheinlos.berlin. Der Originaltext wurde redaktionell überarbeitet.
Bedeutet #fahrscheinfrei eine Zwangsabgabe für staatlich gewünschtes Verkehrsverhalten?
Das Auto ist nicht alternativlos! Vor allem in Großstädten wie in Berlin ist es nicht einmal mehr das wichtigste Verkehrsmittel. Aktuelle Mobilitätsdaten zeigen: Mehr als 70 % der Wege werden in Berlin mit dem so genannten Umweltverbund (ÖPNV, Fuß- und Radverkehr) zurückgelegt. Zumindest in Großstädten müssten die Bürgerinnen und Bürger nicht zur umweltfreundlichen Mobilität gezwungen werden; sie steigen ohnehin schon um.
Für die ländliche Bevölkerung muss dagegen ein besseres Verkehrsangebot finanziert werden können. Und genau dafür wäre die solidarische Umlagefinanzierung eine gute Lösung! Diese schließt aber nicht aus, dass die Menschen weiterhin ihren Pkw benutzen können – sie haben volle Wahlfreiheit!
Laut einer Studie des Umweltbundesamtes (https://www.umweltbundesamt.de/presse/presseinformationen/umweltbewusstsein-2014-immer-mehr-menschen-sehen) befürworten bundesweit 82 % der Bevölkerung einen Umbau der Stadt zugunsten des Umweltverbandes. Ein fahrscheinfreier ÖPNV zieht einen Schlussstrich unter die autozentrierte Verkehrspolitik aus dem 20. Jahrhundert und sorgt für eine Wende in der Verkehrspolitik, die den heutigen Mobilitätsbedürfnissen entspricht – eine Verkehrswende. Die solidarische Finanzierung stellt diese Verkehrswende auf finanziell sichere Füße.
Dieser Text wurde mit freundlicher Genehmigung von der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus Berlin übernommen: http://fahrscheinlos.berlin. Der Originaltext wurde redaktionell überarbeitet.
#fahrscheinfrei in einer einzigen Stadt innerhalb des Verkehrsverbundes– wie soll das funktionieren?
Für die Umsetzung eines „Bürgertickets“, das lediglich in einer Stadt gültig ist, wäre mit dem Verkehrsverbund zu klären, wie die Pendlerinnen und Pendler aus dem übrigen Verkehrsverbund den lokalen ÖPNV nutzen können. Sollen sie weiterhin Fahrscheine erwerben müssen? Dürfen sie „einfach so“ kostenlos fahren? Das ist tatsächlich noch eine zu klärende Frage. Allerdings besteht diese Schnittstellenproblematik schon heute und ist kein originäres Problem des fahrscheinfreien ÖPNV.
Die heutige Lösung innerhalb der Verkehrsverbünde (Busunternehmer fährt über mehrere Stadtgrenzen hinweg) und zwischen den Verkehrsverbünden (der Zug verbindet Regionen) sieht so aus, dass man sich auf bestimmte Quoten geeinigt hat, wie die Fahrgeldeinnahmen untereinander aufgeteilt werden („Einnahmeaufteilung“). Maßgebend hierfür kann die Anzahl der gefahrenen Kilometer, die Anzahl der beförderten Personen usw. sein.
Auch in einem fahrscheinfreien Nahverkehr könnte – ggf. unter veränderten Parametern – die Einnahmeaufteilung eine Lösung für die Schnittstellenproblematik sein.
Beim Prinzip „ÖPNV-Erschließungsbeitrag“, bei dem kein Sondervorteil sondern eine Nutzungsmöglichkeit als Grundlage für den Beitrag gilt, wäre dies einfacher zu bewerkstelligen, da hier diejenigen den Anteil der Kosten der Pendlerinnen und Pendler, Kunden, Tagesgästen tragen würden, die auch den Vorteil aus der Anbindung an den Berliner ÖPNV ziehen.
Für die Umsetzung mit einem „Erschließungsbeitrag für den fahrscheinfreien ÖPNV“ dagegen wäre auch ohne Einbeziehung der Nachbarkreise möglich, da bei dieser Variante auf den Vorteil der ÖPNV-Erschließung ein Beitrag generiert wird. So können zusätzlich zu den Stadtbewohnerinnen und –bewohnern nicht nur die Touristen und Tagesgäste an der Finanzierung beteiligt werden, sondern auch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in der Stadt sowie der Einzelhandel und Gastronomie. Diese Variante erfordert allerdings noch weitere Diskussionen hinsichtlich der Ausnahmen oder Ermäßigungen bei der Beitragspflicht.
(Mehr zu Nutzergruppen auf http://studie.fahrscheinlos.berlin; S. 82 bis 84 sowie auf den Seiten 96 und 115.)
Was bekomme ich für die Zahlung eines Beitrages zum fahrscheinfreien ÖPNV?Eine Nutzungsmöglichkeit des ÖPNV ohne tarifliche Zugangsbarriere! Aus den Einnahmen soll in erster Linie der Betrieb und die Instandsetzung des ÖPNV finanziert werden. Darüber hinaus soll entsprechend eines noch zu erstellenden integrierten Verkehrs- und Finanzierungskonzeptes zur Einführung des fahrscheinfreien ÖPNV über Attraktivitätssteigerungen die Infrastruktur für Rad- und Fußverkehr verbessert werden.
Gelingt es mit dieser Maßnahme – und ggf. anderen, den Autoverkehr verteuernden Maßnahmen – den Pkw-Verkehr zu minimieren, nimmt die Luftbelastung der Städte ab, sodass man also auch von einer besseren Luftqualität profitieren kann.
Weniger Autoverkehr rechtfertigt ebenso, nicht mehr benötigte Verkehrsflächen umzunutzen. Das bedeutet: mehr Platz, der für mehr Radfahrstreifen und mehr erlebbaren Stadtraum genutzt werden kann. Mehr Grün, mehr Platz zum Radfahren und Zufußgehen und mehr Platz zum Verweilen – mehr Lebensqualität.
(Mehr zu den Umweltwirkungen unter http://studie.fahrscheinlos.berlin; auf S. 63)
Dieser Text wurde mit freundlicher Genehmigung von der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus Berlin übernommen: http://fahrscheinlos.berlin. Der Originaltext wurde redaktionell überarbeitet.
Warum soll der Autoverkehr bei #fahrscheinfrei eingeschränkt werden?Ein fahrscheinfreier ÖPNV folgt der Idee, dass alle Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Zugang zur Verkehrsinfrastruktur erhalten. Dazu gehört auch, die seit Jahrzehnten verfolgte Politik der autogerechten Stadt zu beenden. Wir brauchen auch eine ÖPNV-gerechte, eine Radfahrgerechte und Fußgängergerechte Stadt!
Schon jetzt ist das Auto nicht mehr das wichtigste Verkehrsmittel der Stadt, wie aktuelle Mobilitätsuntersuchen belegen. Immer mehr Menschen gehen zu Fuß, fahren mit dem Rad oder mit Bussen und Bahnen. Ein fahrscheinfreier ÖPNV beschleunigt die sich bisher langsam vollziehende Verkehrswende.
Leider helfen dabei nicht nur tolle Appelle – manchmal muss man auch ein bisschen nachhelfen. Ein fahrscheinfreier Nahverkehr allein wird die Menschen nicht aus ihrer Gewohnheit, immer und überall das Auto zu nutzen, herauslocken. Daher muss im Sinne einer push—und-pull-Strategie auch der der Autoverkehr durch gewisse Maßnahmen deattraktiviert werden (Höhere Parkgebühren, Parkverbote, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Maut…). Das alles ist muss aber vernünftig diskutiert werden.
Dieser Text wurde mit freundlicher Genehmigung von der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus Berlin übernommen: http://fahrscheinlos.berlin. Der Originaltext wurde redaktionell überarbeitet.